Sonntagsjournal der Zevener Zeitung vom 15.03.2020
BRAUEL. Zum Studium der Landwirtschaft und um sich vor der Islamischen Revolution in Sicherheit zu bringen, war die junge Parvin aus dem Iran 1980 nach Deutschland gekommen, verliebte sich in einen deutschen Mitstudenten, heiratete ihn und blieb. Bei einer Versammlung der Landvolk-Senioren berichtete sie über ihr bewegtes Leben.
Aufgewachsen inmitten von
Pistazienhainen und gut ausgebildet,
bewirtschaftete sie
gemeinsam mit ihrem Ehemann
in der Nähe von Brauschweig
einen Ackerbaubetrieb
mit Spargelanbau und
Weihnachtsbaum-Kulturen.
Bald war sie vollständig integriert,
was ihr langjähriges
Wirken als Vorsitzende des
Landfrauenverbandes
Braunschweig belegen mag.
Mit Blick auf zwei sehr unterschiedliche
Welten – hier
die Bundesrepublik
Deutschland und dort die islamische
Republik Iran –
verkörpert Parvin Hemmecke-
Otte über Grenzen hinweg
den Typ der modernen,
emanzipierten Frau in heutiger
Zeit. Davon überzeugte
sie ihre Zuhörer und zeigte
Bilder aus ihrer früheren
Heimat, in die sie regelmäßig
als Besucherin zurückkehrt.
In seiner Begrüßung stellte
der Vorsitzende Heiner Ehlen
die Besucherin aus
Braunschweig in den Mittelpunkt.
Der Märznachmittag
war für das Winterhalbjahr
die letzte Vortrags- und
Klönrunde der Gruppe. Damit
man sich anschließend
nicht aus den Augen verliert,
stehen im Sommer interessante
Tagesfahrten auf dem
Programm.
Dann ergriff die Referentin
das Wort und berichtete aus
ihrem bewegten Leben. Der
Umstand, dass ihr Bruder
schon in Deutschland studierte,
erleichterte ihr damals
die Entscheidung, ihrer
Heimat Kermal im Iran den
Rücken zu kehren. Ohne die
geringsten Deutschkenntnisse
trat sie an und erhielt
nach bestandenen Eingangstests
die Zulassung zum
Landwirtschaftsstudium in
Kassel.
In ihrer neuen Heimat gewöhnte
sie sich daran, dass
die Ehefrau des Chefs körperlich
mitarbeitet, im Iran
ein Unding. Anfangs fehlte
ihr in Deutschland die gewohnte
Großfamilie sehr.
Viel gelernt habe sie bei den
Landfrauen in Braunschweig.
Das habe ihr die
Eingewöhnung in den neuen
Kulturkreis erleichtert. Bald
wurde sie Ortsvertrauensfrau
und später sogar Vorsitzende
ihres Landfrauenvereins. Inzwischen
fühle sie sich in
Deutschland zu Hause.
In ihrer Jugend im damaligen
Persien, als dort der
Schah herrschte, spielte der
Anbau von Pistazien in der
elterlichen Landwirtschaft
eine große Rolle. Mit zahlreichen
Bildern brachte sie
der Zuhörerschaft den Anbau
dieser exotischen Kultur
näher. Die harte Schale der
Frucht öffne sich bereits am
Baum, berichtete sie, werde
anschließend getrocknet und
komme nach der Röstung
unbehandelt oder gesalzen
weltweit in den Handel. Der
Iran ist vor den USA der
weltweit größte Pistazienproduzent.
Mehr als 300 000
Tonnen wurden im Schnitt
der letzten Jahre dort geerntet.
90 Prozent gingen in den
Export, weshalb das US Handelsembargo
schmerzlich
spürbar sei, so ihre
nüchterne Feststellung.
Noch interessanter aber
ihre persönlichen Erfahrungen
beim Wechsel von einem
Kulturkreis in den anderen
und das Bereisen der alten
Heimat. Auf den gezeigten
Bildern fällt auf, dass neben
den Iranerinnen auch die
deutschen Frauen immer ein
Kopftuch tragen. „Das ist für
alle Frauen gesetzlich vorgeschrieben“,
so die Referentin.
Wer sich nicht danach
richte, bekäme Ärger mit der
Polizei und müsse mit Strafen
rechnen. Und, so die Referentin:
„Frauen können im
Iran inzwischen jeden Beruf
ergreifen, nur Richterinnen
dürfen sie nicht werden.“
Beklagenswert sei auch die
fehlende Pressefreiheit unter
der Herrschaft der Mullahs.
Für westeuropäische Ohren
auch interessant: „Alkohol
ist offiziell verboten,
aber jeder hat welchen im
Hause.“ Überall, auch in der
Öffentlichkeit, würde dem
Gast in selbstverständlicher
Gastfreundschaft schwarzer
Tee angeboten. Alles ginge
dort viel entspannter zu als
in Deutschland.
In der Diskussion ging es
anschließend mehr um Politik
als um Pistazien. Kritisch
sieht der Gast den Umstand
der Versorgung des politischen
Gegners mit Waffen
aller Art durch die USA und
Saudi-Arabien. „In der großen
Völkergemeinschaft
mangelt es leider an gegenseitigem
Verständnis“ bedauert
sie. Das aber sei für den
Weltfrieden unbedingte Voraussetzung,
meinte sie abschließend.
(SJ)
Heiner Ehlen (rechts) begrüßte Parvin Hemmecke-Otte
als Referentin
beim Treffen der Landvolk-Senioren.
FOTO: MESCHKE