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Zevener Zeitung vom 26. November 2008

Nasse Füße an der Kreisgrenze

Sechs Jahre währendes Ringen zwischen Naturschützern und Landwirten um einen Graben im Moor


Am Rande des wiedervernässten Moores und des neuen Fanggrabens herrschte bei den Beteiligten ausgelassene Stimmung. Zweiter von Rechts: Minister Heiner Ehlen

Kalbe (tk). Die Einigung kam ohne ministerlichen Beistand zustande. Bis es soweit war, gingen allerdings sechs Jahre ins Land. Am Ende stand ein Kompromiss, dem Niedersachsens Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen Pilotcharakter zusprach. Im Kalber Dorfgemeinschaftshaus stießen am Montagnachmittag Naturschützer und Landwirte gemeinsam auf die Wiedernässung des Bahrenbruchmoores an.

An der Grenze zwischen den Kreisen Rotenburg und Harburg – zwischen Kalbe und Heidenau – liegt das Bahrenbruchsmoor. Nach Ansicht der Naturschützer sowohl in der Rotenburger als auch in der Harburger Naturschutzbehörde gehört das Gebiet unter Schutz gestellt, um es als Teil des EU-Vogelschutzgebietes „Moore bei Sittensen“ für Kreuzotter und Moorfrosch, für Schlingnatter und Raubwürger, für den Wespenbussard und Kranich zu sichern.
Aus Sicht der Bauern, die angrenzend Grün- und Ackerland bewirtschaften, gilt es, dafür zu sorgen, dass das Wasser von ihren Flächen abgeleitet wird. Um das sicherzustellen, war An-fang des Jahrhunderts ein Graben durch das Moorgebiet ausgebaut worden. Das nicht genehmigte und daher unerlaubte Treiben rief die Wasserbehörde des Kreises Rotenburg auf den Plan, die Mitte 2002 feststellte, dass nicht mit einer nachträglichen Genehmigung des Ausbaus zu rechnen sein werde.
Daraufhin setzten sich Vertreter der Bezirksregierung Lüneburg als Obere Naturschutzbehörde, des Kreises Rotenburg als Untere Naturschutzbehörde, der Klosterkammer als Eigentümer, Andreas Schwanholt als Bewirtschafter sowie Hans-Heinrich Ehlen als Vorsteher des Wasser- und Bodenverbandes Kalber Bach an einen Tisch, um nach einer Lösung zu suchen. Bei dieser Gelegenheit wurde die Idee geboren, als Ausgleich für eine Genehmigung des Grabenausbaus eine Aufhebung des 900 Meter Verbandsgrabens, der durch das Moorgebiet führt, anzubieten.
Aus der Sicht der Naturschützer bestach dieser Gedanke, weil dann die Wiedervernässung des Bahrenbruchmoores möglich würde. Der Wasser- und Bodenverband erklärte sich unter der Voraussetzung einverstanden, dass ein neuer Graben an der Grenze zwischen Moor und Grünland angelegt wird, der sicherstellt, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche nicht infolge der Wiedervernässung unter Wasser verschwindet.
Einen Antrag zum Bau dieses 470 Meter langen so genannten Fanggrabens stellte der Verband noch 2002 bei der Kreisverwaltung in Rotenburg. Die wartete indes darauf, dass der Kreis Harburg die östlich des Moorgebietes gelegenen Äcker aufkauft, damit einer Vernässung nichts mehr im Wege steht. Das nahm knapp drei Jahre in Anspruch. In dieser Zeit lag auch das Plangenehmigungsverfahren auf Eis.
Im September 2005 beschloss der inzwischen von Wilhelm Duden geführte Wasser- und Bodenverband Kalber Bach, den Verbandsgraben aufzuheben und den Fanggraben herzustellen. Die Klosterkammer Hannover erklärte sich bereit, den neuen Graben auf ihrer Fläche, also der von Schwanholt bewirtschafteten Wiese, ziehen zu lassen und die Kosten zu tragen.
An einen Baubeginn war dennoch nicht zu denken, denn Verband und Kreisverwaltung Harburg verhandelten ausdauernd über den Inhalt eines Vertrages, der die Regulierung von eventuell auftretenden Schäden am neuen Verbandsgraben regeln sollte, wenn das Moor wiedernässt wird. Bis Ende 2006 lag noch kein Ergebnis vor. Dann trat der Harburg als Verhandlungspartner zurück. An seiner Statt sollten die Gemeinde Heidenau und der Arbeitskreis Naturschutz Samtgemeinde Tostedt e.V. die Gespräche fortführen.
Anfang 2007 platzte dem zuständigen Mitarbeiter in der Harburger Kreisverwaltung offenbar der sprichwörtliche Kragen. Per Schreiben wurde den Kalbern mitgeteilt, dass weder der Kreis Harburg noch die Gemeinde Harburg noch der Arbeitskreis Naturschutz eine Haftung für Vernässungsschäden jenseits des Naturschutzgebietes übernehmen werden. Zugleich wurde Verbandsvorsteher Duden davon in Kenntnis gesetzt, dass die Aufhebung des Verbandsgrabens im Moor auch erzwungen werden könne.
Pikiert vom rüden Umgangston war der Verband dennoch bereit, von seiner Forderung abzulassen.
Im Mai 2007 konnten die vollständigen Planunterlagen eingereicht werden. Und wieder kam Sand ins Getriebe: Die Kreisverwaltung Harburg mochte die beantragte Grabentiefe nicht akzeptieren. Die beamteten Naturschützer wollten lediglich 60 Zentimeter Grabentiefe gutheißen.
Mitte dieses Jahres lud die Kreisverwaltung in Rotenburg schließlich zu einer Schlichtungsverhandlung ein. Und siehe da, eine Einigung war möglich. Verband und Naturschützer verständigten sich auf eine Grabentiefe von 1 Meter.
Anfang Juli 2008 wurde endlich die Plangenehmigung verschickt. Und die Tostedter Naturschützer legten auch gleich los. Sie verfüllten den Verbandsgaben an mehreren Stellen. Diese sogenannte Kammerung führte dazu, dass sich im Moor etliche kleine Teiche bildeten. Anfang November rückte dann ein Bagger an und zog entlang des Moores den 470 Meter langen Fanggraben.
Um diesen Abschluss des sechs Jahre dauernden Prozesses zu würdigen, waren am Montag auf Einladung des Wasser- und Bodenverbandes Vertreter aller beteiligten Behörden, Vereine und Verbände ins Kalber Dorfgemeinschaftshaus gekommen.
Nachdem Verbandsgeschäftsführer Wilhelm Meyer die Vorgeschichte in Erinnerung gerufen hatte, wandte sich sein „Gegenpart“, Armin Hirt von der Naturschutzbehörde in Harburg, in Anwesenheit von Minister Ehlen an die Beteiligten. Unumwunden gab er zu, das Aufeinandertreffen mit den Verbandsvertretern sei keine „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen, es habe ihm vielmehr viel Frust und Ärger beschert. Das Ergebnis sei gleichwohl „wunderbar“. Landwirt Andreas Schwanholt resümierte: „Wir haben alle gewonnen.“ und Anette Randt, Bürgermeisterin der Gemeinde Heidenau, bekannte, sie habe das Tister Bauernmoor vor Augen und sehe die ersten Touristen auf dem Weg ins Bahrenbruchsmoor.
Minister Ehlen bezeichnete den gefundenen Kompromiss als Pioniertat für die Landesentwicklung. Er habe für sich zur Maßgabe erhoben, Flurneuordnungen nach Kalber Vorbild durchzuführen: 100 Prozent Naturschutz, dort wo es geht, und 100 Prozent Landwirtschaft, dort wo es geht.

Wortwörtlich
„Ihr habt alle Mumm gezeigt.“

Hans-Heinrich Ehlen in Anspielung auf eine Kiste Mumm-Sekt, die er mitgebracht hatte, um sein Verssprechen zu halten.

Und weil er mit seinem Abtritt als Verbandsvorsteher und seinem Antritt als Landespolitiker versprochen hatte, „wenn ihr das schafft, zu einer Lösung zu kommen, gebe ich eine Kiste Sekt aus“, stellte Ehlen eine Kiste Sekt auf den Tisch und stieß mit allen Anwesenden auf den Erfolg an.



Heiner Ehlen (2. von rechts) neben der Bürgermeisterin von Heidenau auf der Fahrt entlang des Moores


Heiner Ehlen (links) im Gespräch mit den Beteiligten im Dorfgemeinschaftshaus Kalbe nach dem Anstoßen auf den Erfolg

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