Aktuelles aus der Region

zurück

„Sitzen alle im gleichen Boot“

- Ein Leserbrief von Jörn Ehlers vom 9.10.2013 -

Sehr geehrter Herr Radtke,

dass die Landwirtschaft in den gesellschaftlichen Diskussionen mit vielen Beteiligten in einem Boot sitzt, ist den Bauern als auch dem Bauernverband bewusst. Jedoch muss ich feststellen, dass von Gruppierungen nach dem Ruder dieses Bootes gegriffen wird, die weder „Kapitänspatent“ geschweige denn „Seepferdchen“ vorweisen können.

Diese mangelnde Sachkenntnis beginnt schon bei der immer wiederkehrenden Verwendung von nichtssagenden Begriffen, in die jeder Leser eigene Vorstellungen hinein interpretieren kann. Wenn Sie in Ihrem Leserbrief von „bäuerlicher Landwirtschaft“ sprechen, gehe ich davon aus, dass Ihre Definition sich von meiner und der vieler anderer Menschen unterscheiden wird.

Diese Zusammenhänge umfänglich zu diskutieren, sprengt den Rahmen eines Leserbriefes, deshalb möchte ich Sie einladen uns im Haus der Landwirtschaft zu besuchen, um mit Vertretern der örtlichen Landwirtschaft darüber zu sprechen.

In Ihrem Leserbrief führen Sie recht umfangreich die Proteste am Schlachthof in Wietze als Bestätigung des gesellschaftlichen Willens an und äußern Unverständnis für die unkritische Haltung des Bauernverbandes zur Geflügelhaltung.

Es ist die freie Entscheidung eines jeden Landwirts, wie er seinen Betrieb ausrichtet und dies sollten wir alle respektieren. Ob er biologisch oder konventionell wirtschaftet, ob er Tiere hält oder Sonderkulturen anbaut, sollte dem einzelnen Bauern überlassen werden. Wenn er sich nun für die Geflügelhaltung entschieden hat, hängen damit oftmals vertragliche Bindungen zusammen, auch um einheitliche Qualitäten zu gewährleisten.

Ähnliche vertragliche Bindungen und einheitliche Standards nach denen Produziert werden muss, gibt es beispielsweise auch in der Bioproduktion. Auch hier kann nicht jeder Landwirt selber entscheiden was er für Bio hält, sondern muss sich an strikte Vorgaben halten und das ist auch gut so.

Sie sprechen in Ihrem Leserbrief von Überproduktionen in der Geflügelhaltung die „Ausdruck einer unsinnigen agrarindustriellen Expansion“ sind. Zunächst muss ich feststellen, dass in Europa die größten Überproduktionen stattgefunden haben, als die landwirtschaftliche Struktur noch Ihrem nostalgischem Idealbild entsprochen haben: nämlich in den 70 er und 80 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dies war die Zeit der „Milchseen“, „Butterberge“ und Gemüseentsorgung. Leider haben einige Kritiker der heutigen Landwirtschaft mit ihrem wirtschaftlichen Weltbild, den Sprung in das jetzige Jahrtausend noch nicht vollzogen.

Wir haben mittlerweile den europäischen- und den Weltmarkt der Agrargüter und die Substitution im energetischen Bereich.

Den von Ihnen kritisierten Schlachthof in Wietze stellen Sie als „Hochsicherheitstrakt“ dar und ich muss sagen, dies gefällt mir als Konsumenten. Der Verbraucher darf zu recht gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittel erwarten. Es kann nicht sein, dass dort wo Nahrung hergestellt wird jeder ein und ausgehen und unter Umständen Verunreinigungen einschleppen kann. Dies verlangen die Veterinärämter natürlich genauso für die Stallungen unserer Landwirte.

Natürlich muss dem Verbraucher trotzdem die Gelegenheit geboten werden Stallungen anzusehen. Viele Landwirte öffnen, auch in unserer Region, gerne ihre Stalltüren für Besucher. Interessierten Mitbürgern ist der Landvolkverband hierbei gerne behilflich.

Kritik an der Landwirtschaft ist in Ordnung und wichtig, um Dinge zu erkennen, die einem aus dem eigenem Blickwinkel nicht klar werden. Auch innerhalb des Bauernverbandes gibt es unterschiedliche Meinungen, die diskutiert werden. Das ist vollkommen normal und der Weiterentwicklung dienlich.

Grund unseres Protestes vor zwei Wochen war die unsachliche Instrumentalisierung dieser Bauernkritik. Mit uns und unserem Berufsstand wird Wahlkampf der ganz billigen Sorte gemacht. Entsprechende Beispiele wurden von uns dargestellt.

In dem gemeinsamen Boot haben wir Landwirte das „Kapitänspatent“ und wir dürfen uns nicht auf Passagiere einlassen, die mit unserem Segelschiff auf Unterwassertauchfahrt gehen wollen. Hierbei erleiden wir alle Schiffbruch.

Jörn Ehlers (Vorsitzender Landvolk Rotenburg-Verden e.V.)

zurück