Aktuelles aus der Region

zurück

Bremervörder Zeitung vom 10.04.2014

Biblische Normen oder Mainstream?

SELK-Bischof Hans-Jörg Voigt erläutert umstrittene EKD-Orientierungshilfe – 75 Zuhörer diskutieren über die Stellung der Kirche

Von Carmen Monsees

SELSINGEN. Kirche und Gesellschaft stehen vor einer wichtigen Wegstrecke. Besonders das Thema Ehe und Familie ist derzeit ein heiß umstrittenes Thema. Im Juni 2013 hat der Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) der Öffentlichkeit eine Orientierungshilfe vorgestellt. Die Debatte um das so genannte Familienpapier ist längst entbrannt. Denn mit der EKD-Orientierungshilfe wird das Leitbild der Ehe auf Lebenszeit in Frage gestellt.

Die Orientierungshilfe des Rates der EKD rückt die Ambivalenz modernen Familienlebens in den Blickpunkt. Sie gibt eine Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft und beschreibt die Herausforderungen.
Zu dem Thema „Werden Ehe und Familie dem Zeitgeist geopfert?”, referierte der Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), Hans-Jörg Voigt aus Hannover, auf Einladung des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU unter dem Vorsitz von Albert Rathjen am Montagabend im „Selsinger Hof”. Rathjen begrüßte neben den 75 Zuhörern auch Landrat Hermann Luttmann, den Landtagsabgeordneten Hans Heinrich
Ehlen, den CDU-Gemeindeverbandsvorsitzenden Dr. Marko Mohrmann und Harald Kaminsky (Kirchenrat).
Vorab stellte Luttmann in seinem Grußwort das Problem aus der Perspektive des Landrats dar. Die Gesellschaft im 21. Jahrhundert habe sich gewandelt. Die Zahl der Alleinerziehenden steige, Ehen verlören mehr denn je an Bestand. So seien Ehen nicht mehr unbedingt auf Lebenszeit angelegt. Eine Auswirkung sei, so Luttmann, dass nahezu 80 Prozent der Kinder, die in der Sozialpsychiatrischen Klinik in Rotenburg betreut werden, von Alleinerziehenden aufgezogen werden. Der Sozialstaat stoße hiermit an Grenzen, denn die Kosten in der Jugendhilfe steigen immens.
Hans-Jörg Voigt erläuterte im Anschluss, was es seiner Meinung nach mit der EKD-Orientierungshilfe auf sich habe. Sein Anliegen: war es, das Thema nicht zuerst kritisch anzugehen, sondern zu hinterfragen.

„Die Ehe ist unauflöslich“

In seinen Ausführungen ging Voigt auf die Grundlagen des christlichen Denkens ein. Nach seinen Worten brauchen insbesondere junge Menschen Ermutigung, um eine Ehe einzugehen, auch wenn scheinbar vieles dagegen spreche. Die Ehe habe das Gebot und das Versprechen Gottes auf ihrer Seite. Für die Kirche stehe die Heilige Schrift an erster Stelle und für ihn als lutherischen Bischof seien die Bekenntnisschriften ebenso leitend. Diese definieren das christliche Eheverständnis als eine auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau.
Doch wie geht nun die Kirche mit der Tatsache um, dass immer weniger Menschen nach biblischen Normen leben möchten? Hilfreich kann nach Ansicht des Bischofs die Unterscheidung zwischen einer bibel- und bekenntnisgemäßen Genauigkeit („Akribia“)
und einer seelsorgerischen Haushalterschaft („Oikonomia“) sein.
Nach evangelischem Verständnis sei die Ehe unauflöslich. Treffe nun diese Unauflöslichkeit der Ehe auf die Erfahrung des Scheiterns, stehe die Kirche in seelsorgerischer „Oikonomia“ Paaren und alleinerziehenden Müttern bei, wenn sie eine Scheidung erleiden. Dennoch halte die Kirche in biblischer „Akribia“ an der grundsätzlichen Unauflöslichkeit der Ehe fest. Kirche sei gefordert, sich für Alleinerziehende einzusetzen, um das Armutsrisiko zu mindern. Hier könnten sich Christen im Sinne des diakonischen Auftrags beweisen.
Doch wie bekommt die Kirche nun die Kurve aus dem Dilemma? Schließlich habe sie nicht mehr die Autorität wie noch vor 30 Jahren. Für das Dilemma zwischen der Lebenswirklichkeit
und, theologisch gesprochen, der biblischen Wahrheit, hatte der Bischof zwar auch keine Lösung parat, jedoch mit dem Grundgedanken zur seelsorgerischen ,,Oikonomia“ und der biblischen „Akribia“ die Problematik trefflich beschrieben.
Zusammenfassend beschrieb Hans-Jörg Voigt, wie die Bibel zu Ehe und Familie steht und schlug eine Brücke zur EKD-Orientierungshilfe. Ebenso sprach er zum Thema  Homosexualität. Dass auch diesem „Lebensmodell“ respektvoll gegenübergestanden werde, verstehe sich von selbst, betonte Voigt.

Überarbeitung denkbar

Wäre es nun ein Weg, dem gesellschaftlichen Mainstream zu folgen und als Beispiel der Ehe auf Zeit zuzustimmen? Auf Grund der in den vergangenen neun Monaten gäußerten Kritik an dem vom EKD-Rat ausgearbeiteten aber nicht auf einer Synode beschlossenen „Familienpapier” sei eine Umarbeitung denkbar. Hinter den Kulissen des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland seien die Spannungen zu bemerken, so der Bischof. Hinter vorgehaltener Hand werde in Bezug auf das Papier gar vom Supergau gesprochen. Die Brisanz und Explosivkraft des Papieres sei nicht erkannt worden, fügte der EAK-Vorsitzende Albert Rathjen hinzu.
Der Tenor aus den Reihen der Zuhörer: Kirche muss Mut zur Wahrheit und Liebe haben, sonst werde sie belanglos. Menschen sollten sich aktiv einbringen, dann könne auch mit Gottes Hilfe etwas verändert werden. Und auch wenn Kirche scheinbar belanglos werde, so sei das Wort der Kirche doch wichtig.


Thematisierten mit 75 Zuhörern die umstrittene EKD-Orientierungshilfe: Heiner Ehlen (von links), Bischof Hans-Jörg Voigt, Albert Rathjen, Dr. Marco Mohrmann und Landrat Hermann Luttmann (Foto: Monsees)

zurück