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Kolumne in der Bremervörder Zeitung am 06.11.2004

Zeit des Nachdenkens!

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn im Herbst die Blätter fallen, verbreitet sich bei vielen Menschen fast automatisch eine melancholische Stimmung. Die Felder sind weitgehend abgeerntet, die schönen Sommerblumen verblüht und mit der prachtvollen Buntfärbung der Blätter und dem darauf folgenden, allmählichen Laubfall wird uns bewusst, dass der Winter vor der Tür steht. Für unsere Vorfahren war das eine harte Zeit: Wer es nicht geschafft hatte, genug Vorräte einzulagern, musste hungern. Wer nicht über genug Brennholz verfügte, musste frieren und wenn es der Natur gefiel, sogar verhungern oder erfrieren. Heute drehen wir die Heizung an und machen den Kühlschrank auf; und trotzdem ist der Herbst für uns eine besondere, nachdenkliche Zeit.

Vielleicht sind es die Erinnerungen an Verlust und Entbehrungen der vergangenen Jahrhunderte, dass jetzt die stillen Wochen beginnen. Wir gedenken unserer Verstorbenen, seien sie nun im Felde geblieben, durch Unfall oder Krankheit zu früh verschieden oder hochbetagt im eigenen Bett gestorben. Vielleicht ist früher nach der Ernte nun einfach mehr Zeit da gewesen, sich ein wenig ins Besinnliche zu begeben. Und auch heute, wo Ernte und Landwirtschaft in weiten Teilen der Bevölkerung kaum mehr eine Rolle spielt, ist man bei dieser Beurteilung geblieben. Dabei ist es doch eigentlich genau die falsche Jahreszeit, unserer Toten zu gedenken. Wenn wir an die Auferstehung und das ewige Leben glauben, dann müsste doch eigentlich der Frühling mit seinem kraftvoll neu erwachenden Leben viel besser geeignet sein, um der Verstorbenen zu gedenken. Aber nun hat sich einmal der November etabliert und die fallenden Blätter symbolisieren eben auch die Vergänglichkeit unseres Daseins.

In diesen Zusammenhang passt auch, dass endlich die jahrzehntelange und zum Teil sehr leidenschaftlich geführte Debatte über die Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel zu einem befriedigenden, neuen Anfang gekommen ist. Viele Menschen aus vielen Nationen mit vielen Religionen haben hier ihr Leben lassen müssen oder haben jahrelang gelitten. Trauer um den Verlust oder das Verarbeiten von bösen Erfahrungen braucht auch einen Ort; in Sandbostel wird er nun entstehen und den kommenden Generationen die Möglichkeit geben, sich dieser Geschichte zu erinnern. Gleichzeitig entsteht aber auch eine Stätte, wo sich verschiedene Nationen und Religionen friedlich begegnen werden. Wichtig erscheint mir, dass hier nicht nur ein zweifellos notwendiges, rückgerichtetes Gedenken passiert, sondern auch viel zukunftsgerichtetes Arbeiten für eine gemeinsame und friedvolle Verständigung in Europa.

Ein schönes Wochenende wünscht

Hans-Heinrich Ehlen

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